Aufnahme Unserer Lieben Frau in den Himmel Kuppelfresko von Walter Georgi (1912) - Dom St. Blasien im Schwarzwald |
Der Leib scheint im Christentum der Loser. Absolut gesetzte Bibelzitate wurden, ohne sie im Kontext der gesamten Heiligen Schrift zu betrachten, in die Debatte geworfen. Zusätzlich übernommene Anschauungen antiker Philosophie (dass etwa der Leib ein Grab der Seele sei, die daraus befreit werden müsse) trugen dem Christentum letztlich die Unterstellung ein, "leibfeindlich" zu sein.
In der Tat lassen sich hinreichend Belege für diesen Vorwurf anbringen, wenn man es darauf anlegt. Der frühe Kirchenvater Tertullian (ein zuweilen schräger Vogel, weswegen ihm die klassische Nomenklatur auch nur den Titel "Kirchenschriftsteller" zubilligt) ist nur ein prominenter Protagonist in Sachen Abwertung des Leibes; Nachfolger, auch von höherer Rechtgläubigkeit und Ansehen, finden sich durch alle Jahrhunderte.
Der Leib wurde nicht selten als großes Hindernis auf dem Weg der Vereinigung mit Gott gesehen; ihn galt es durch harte Askese gefügig zu machen. Freilich verstanden zu allen Zeiten die authentischen Praktiker des geistlichen Lebens - etwa die Wüstenväter - leibliche Askese nicht als totale Kampfansage zum Selbstzweck, sondern als Mittel der Reinigung des Geistes: Es geht nicht um ein Abstrafen des Leibes, sondern darum, leibliche Vollzüge für diese Vereinigung fruchtbar zu machen: etwa in Gebetsgebärden wie dem wiederholten Niederwerfen; der leibliche Akt der Metanie rührt wörtlich von metánoia her, was "Umdenken" bedeutet und damit auf den Geist zielt.
Generell kann, dafür muss man nicht das Leben eines Wüstenvaters führen, der Leib das Beten unterstützen, wenn wir die entsprechenden Gebärden bewusst vollziehen: Stand fassen vor Gott, aufmerksam sitzen, den Heiligen suchend knien, unser Atmen auf dem Pneuma Gottes ruhen lassen. Dann ist der Leib nicht "der Feind", sondern Leiter für den Aufstieg zu Gott.
"Ja, aber all die Versuchungen, die mit dem Leib zusammenhängen", mag der Fromme rufen und damit vor allem ans sechste Gebot denken. Sicher, die damit verbundene Sinnlichkeit ist verführerisch; aber nicht der Leib überredet uns zu Fehlverhalten, sondern der Geist, der von verwildertem Begehren umgetrieben wird. Wie bei den Gebetsgebärden scheint mir auch hier der Leib eher das Ausdrucksmittel, dass zum Guten helfen oder zum Helfershelfer des Schlechten werden kann; "schmutzigem Sex" gehen "schmutzige Gedanken" voraus. Mit "schmutzig", am Rande bemerkt, meine ich hier nicht in erster Linie die Aufforderung "Schatz, sag mit etwas Schmutziges", sondern eine ethisch entgrenzte Denkungsart, die einen Vergewaltiger oder einen Pädophilen zum Ausleben seiner Neigung bewegt (welche tieferen psychologischen Triebkräfte dahinter stehen, steht auf einem anderen Blatt). Zurück zum Thema: Gewiss kann der Leib missbraucht werden, aber dies rührt nicht an der Würde des Leibes und dem Adel der Leiblichkeit. Hinter jeder Verfehlung steckt der ganze Mensch, in dem Leib und Seele vereint sind, den Körperregungen ein Sinnen und Trachten vorangeht.
Der Leib ist ein Geschenk Gottes - der Zusammenklang mit einer Seele, die sich selbst übersteigen kann, zeichnet uns vor dem Ganzen der Schöpfung besonders aus. Gott hätte uns auch als reine Geister erschaffen können, aber er wollte, dass ein Teil seiner (materiellen) Schöpfung nicht in bewusstloser Vegetation verbleibt, sondern seiner selbst und seines Schöpfers bewusst werden kann: eine Brücke zwischen der materiell geschaffenen und der göttlich schaffenden Sphäre. Sünde und Schuld rührten an dieser Verbindung, bis sie in Christus, dem menschgewordenen Wort, dem Erstgeborenen der (neuen, weil) ganzen Schöpfung (vgl. Kol 1,15) wieder hergestellt wurde.
Maria hat sich Gott dafür vorbehaltlos zur Verfügung gestellt. Ihre Aufnahme in den Himmel bezeugt die Ehre Gottes, die, nach Irenäus von Lyon, der lebendige Mensch ist - der Mensch in Fülle, mit Leib und Seele in Gottes Herrlichkeit.
Bitte für uns, heilige Gottesmutter - auf dass wir würdig werden der Verheißungen Christi.
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