Dienstag, 21. Juli 2020

Der sensus fidelium - eine Anmerkung zum sogenannten "Glaubenssinn des Gottesvolkes"

→ Auf den sensus fidelium kann sich nur berufen, wer die Schar der Gläubigen im Blick hat, welche mit der Lehre der Kirche übereinstimmen und die sich entsprechend durch ein sentire cum ecclesia auszeichnen. Die Übersetzung "Glaubenssinn des Gottesvolkes" ist nicht nur schwammig, sondern öffnet einem falschen Verständnis Tür und Tor.

| An die Kirche adressierte progressive Reformforderungen werden nicht selten mit dem Hinweis auf den sensus fidelium vorgetragen: Man spricht dann gerne vom “Glaubenssinn des Gottesvolkes”, in dem sich jene Forderungen auf breiter Basis latent und (oder) leiser formulieren würden, die ansonsten von pressure groups und Funktionskasten lautstark, aber minderheitlich artikuliert werden.

Die Abklärung, welchen Stellenwert der sensus fidelium im Glaubensvollzug der Kirche einnimmt, ist an dieser Stelle ebenso wenig relevant wie die Frage, inwieweit - die Gesamtkirche im Blick - dieser sensus für progressive Forderungen unzulässig vereinnahmt und somit missbraucht wird.

Ehe man sich in diese Themen hinein kniet, lohnt es nämlich zunächst, den Blick auf die Übersetzung “Glaubenssinn des Gottesvolkes” zu wenden - eine recht ornamentale Variante des Wortes vom sensus fidelium - das man weit kürzer und wortgetreuer als “Gesinnung der Gläubigen” (oder meinethalben auch “Sachverstand der Gläubigen”) übersetzen könnte. 

An dieser Stelle schon einmal der Hinweis: Wenn bei Aufruf des sensus fidelium im Rahmen kirchlicher Vollzüge von “Gläubigen” die Rede ist, dann können damit - innerer Logik folgend - nur “Gläubige” im Sinne der Kirche gemeint sein. Das heißt: Menschen, die den Glauben der Kirche teilen (und zwar in seiner Gesamtheit und in der Art, wie die Kirche etwas - wie es weiland der Katechismus formulierte - “zu glauben vorstellt”). 

Es sollte sich in diesem Zusammenhang erübrigen, muss in unseren Zeiten aber dennoch betont werden, dass der Glaube der Kirche nicht gegen einen irgend gearteten “persönlichen” Glauben des Individuums oder gegen “oppositionelle” Glaubensauffassungen ausgespielt werden kann. Der sensus fidelium speist sich aus dem gemeinsamen Glauben, den die Kirche verbürgt, auf dessen Boden die Gläubigen stehen und aus dem sie leben. Dem sensus fidelium entspricht als Haltung das sprichwörtliche sentire cum ecclesia: die “gleiche Gesinnung wie die Kirche haben”, “mit der Kirche übereinstimmen” (sensus ist nicht von ungefähr eine partizipiale Ableitung von sentire).

Ob sich das gros der Progressiven, die geflissentlich Ihre Reformforderungen anbringen, in diesem Rahmen bewegt, darf mit einem dicken Fragezeichen versehen werden.

Die ahnen das womöglich selbst - denn die Rede vom “Glaubenssinn des Gottesvolkes” ist als Übersetzung nicht nur ornamental aufgeblasen, sondern geradezu eine Nebelkerze. Der Teufel steckt en detail.

Zunächst: Anstelle von “Gläubigen” ist von “Gottesvolk” die Rede. Das klingt fromm und biblisch, lässt die erforderliche Rückbindung an die “Gläubigkeit” aber in den Hintergrund treten: unter Gottesvolk können auch alle Getauften verstanden werden, ohne deren konkrete Bindung an die Kirche und deren Lehrinhalte näher thematisieren zu müssen. Der Begriff "Gottesvolk" ist mithin weit weniger spezifisch und inhaltlich qualifiziert als der Begriff "Gläubige" - was schließlich heißt: Menschen, die glauben - oder, wie bereits gesagt: Menschen, die gemeinschaftlich den Glauben der Kirche teilen.

Dann: Die mit dem Begriff der “Gläubigen” verknüpfte Glaubensäußerung wird zum Sinnbegriff transferiert, wird zum “Glaubenssinn” - das bedeutet: Der Glaube wird von einer Voraussetzung für das entsprechende "Sinnen" (bzw. den "Sinn", die "Gesinnung", den "Sachverstand") zu einer Konsequenz, in der sich die Haltung eines nicht näher qualifizierten “Gottesvolkes” artikuliert.

Auf der Basis dieser Sprachregelung lässt sich nunmehr der “Glaubenssinn” besagten “Gottesvolkes” auch gegen die Lehre der Kirche positionieren, sofern erforderlich und ... wie in unseren Breiten allenthalben zu sehen und zu hören.

Freitag, 17. Juli 2020

Die Macht der Gewöhnung - was macht sie mit uns?

| Wann haben wir eigentlich damit angefangen, es als völlig normal zu empfinden, dass - kirchensteuerfinanziert, noch trieft der Topf schließlich - sog. "katholische" Medienseiten in beinahe täglicher Taktung gegen zentrale Lehren der Kirche zu Themen wie Ehe, Priestertum, Eucharistie u.a. schießen?

Gewiss - wir regen uns darüber auf; wir teilen die Beiträge nicht direkt auf fcbk oder Twitter, sondern verwenden screenshots oder spiegeln hanebüchene Artikel, um die entsprechenden Medien nicht durch Klicks weiter zu hypen; wir üben uns in eifriger Einigkeit, dass das "inoffizielle Medienportal der deutschen Bischofskonferenz" (oder wie immer man die Namensnennung zu vermeiden trachtet) und anverwandte Angebote schon wieder ins Klo gegriffen haben (so wie heute bereits vorvorvor-, vorvor-, vorgestern und gestern und erwartbar morgen usf.); wir kichern uns ein "haeretisch.de" in die Hand; sehen bestätigt, was wir ja schon immer wussten; suhlen uns im neuesten (eigentlich ist es zu 90 Prozent derselbe, nur jeweils wieder aufgebrüht) Medien-Muckefuckconcinationem nostram da nobis hodie!

Die Frage kann man nicht deutlich genug in die Runde werfen, also nochmal: Wann haben wir eigentlich damit angefangen, diese fortgesetzte Unterwanderung, Leugnung, Pervertierung von Glaubensinhalten als völlig normal zu empfinden?

Von gewissen "katholischen" Verbänden und "Vertretungen" ganz zu schweigen ...

Montag, 17. Februar 2020

Die Kirche | das größere Ganze

| Reden wir nicht von denen, die freudig erwarteten, dass ihnen der Papst endlich ein rammelndes Kaninchen aus dem Hut zaubern würde, sondern von denen, die wie das Kaninchen vor der Schlange saßen und die schleichende Aushöhlung des Zölibats - den Pforten der Hölle gleich - kommen sahen. In den letzten Jahren macht sich unter traditionsverbundenen Katholiken (bezeichnend, dass man heute zu dieser Tautologie greifen muss - dies aber nur am Rande bemerkt!) eine seltsame Mischung aus Bammel, Furcht, Resignation und innerem Exil breit, das meines Ermessens auch daher rührt, dass man bei "der Kirche" nicht mehr das größere Ganze im Blick hat, obschon gerade diese Sichtachse für eine in und mit der Weltzeit streitende Kirche von größter Bedeutung ist.

An dieses größere Ganze erinnerten mich heute einige Gedanken des hl. Augustinus aus dessen Enchiridion, die mir bei der Lektüre von Henri de Lubacs Geheimnis, aus dem wir leben (Einsiedeln / Freiburg 1990, S. 82) begegnet sind:
Die sachlich richtige Ordnung des Glaubenssymbols verlangte, dass auf die Dreieinigkeit die Kirche folge, wie auf den Bewohner sein Haus, auf Gott sein Tempel, auf den Gründer seine Stadt; und zwar die Kirche, die hier in ihrer Gesamtheit zu verstehen ist,
nicht allein in ihrem Teile, der auf Erden pilgert und "vom Sonnenaufgang bis zum Untergang" den Namen des Herrn lobt (Ps 122, 3) und nach der Befreiung aus der alten Knechtschaft ein neues Lied singt (Apk 5, 9),
sondern einschließlich ihres Teiles im Himmel, der vom Tage seiner Schöpfung an ständig mit Gott verbunden war und niemals das Unheil eines Sturzes erleben wird.

Dienstag, 11. Februar 2020

Einsamkeit ... und Zölibat

| Madeleine Delbrêl (1904-1964), die ein Leben aus katholischer Aktion in der vom Kommunismus geprägten französischen Industriestadt Ivry und aus mystischer Versenkung führte und die durch Papst Franziskus im Rahmen einer möglichen Seligsprechung vor rund zwei Jahren zu einer "ehrwürdigen Dienerin Gottes" erklärt wurde, schrieb einmal ...

... "die wahre Liebe zu Gott" müsse "in einer wesentlichen Zone unserer selbst menschliche Einsamkeit sein oder es werden". Und sie glaube, "dass Gott diese Einsamkeit braucht, um in die Welt zu gelangen und in ihr zu wirken". Mehr noch! Diese Einsamkeit "scheint mir ein Sakrament für die Welt zu sein. Sie ist einer der tiefsten Risse, die dem Herrn und seiner Erlösung erlauben, durch uns hindurch in die Welt einzudringen. So sehe ich schon lange die Ehelosigkeit und alle anderen Arten der Einsamkeit ...".

Die Einsamkeit, von der hier die Rede ist, meint meines Ermessens den Moment, in dem der Mensch ganz auf Gott hin und darum bei sich selbst und frei von aller Ablenkung ist. "Seine großen Begegnungen mit Gott", so Delbrêl, "hat der Mensch allein". Und: "Einkehr halten besteht im Willen, uns allein von Gott rufen zu lassen".

Einsamkeit als Horizont der Gottesliebe, als Rahmen des göttlichen Wirkens, als Sakrament für die Welt, aber auch (und gerade darum) als "Riss" in diese Welt hinein, derer auch der so Einsame letztlich selbst zugehörig ist, ein Riss also, welcher den so Einsamen nicht unberührt und - sei es angesichts der Erschütterung durch Gott, oder auch in der Anfechtung - nicht unverstört, nicht unverletzt lassen mag; eine Einsamkeit, die sich für Delbrêl konkret auch in der Ehelosigkeit manifestiert:

Vielleicht kann es in der Auseinandersetzung dieser Tage helfen, den priesterlichen Zölibat immer wieder in diesem Licht zu betrachten. Ja: Der Priester muss einsam sein. Doch er soll in der Fülle jener Einsamkeit leben, die aus Gott kommt, die zu ihm führt und die die Gnade birgt, Gott zu den Menschen zu bringen.

¶ Zitate aus: Madeleine Delbrêl | Die Liebe ist unteilbar | Einsiedeln / Freiburg (2) 2002 | S. 91.