Dienstag, 2. September 2025

Relectures | Hans Urs von Balthasar: "Schleifung der Bastionen" (01)

 

Wie bereits erwähnt las ich jüngst "Schleifung der Bastionen" von Hans Urs von Balthasar. Der Titel der 1952 publizierten Schrift verrät zuweilen mehr über den Leser als über den Text; jedenfalls glaubte ich lange, das kleine Buch würde zu jenen fragwürdigen Libretti zählen, die es damals drauf anlegten, dass in der Kirche kein Stein auf dem anderen bleiben solle. Aber dem ist nicht so, wenngleich Balthasar mit einigem Abstand selbstkritisch auf diese Arbeit zurückblickte, weil sie - missverstanden - gewissen späteren Tendenzen Vorschub geleistet haben mag. 

Über den Daumen gepeilt geht es ihm in der Mitte des 20. Jahrhunderts darum, dass die Kirche Offenheit zur Welt hin gewinne; Balthasar beginnt mit der Aussage "Das heutige Zeitalter der Restauration täuscht nicht über die Ausmaße der Krise, worin im Bund mit der Welt auch die Kirche liegt" - ich denke, der Autor meint mit "Restauration" den Zenit der Ära Pius' XII., eine Zeit, als die Kirche gefühlt auf alles eine letztgültige Antwort parat und für jeden Fall eine passende Erklärung in der Schublade hatte, stets aus einer merklichen Distanz zur Welt gesprochen und untermauert von einer standardisierten Theologie - bis hinein in die edel ziselierten Schlussfolgerungen der in der Neuscholastik (allzu fest) verankerten römischen Schule. Vielleicht habe die Kirche, so spannt Balthasar einen weiten Bogen ... 

"nach der Reformation allzu lang in ihrer Gegenreform die alten gedanklichen Rahmen des Mittelalters weitertradiert; wir erkennen es an der geringen Hilfe, die wir erhalten, wenn wir in unserer Not uns an die Barocktheologen wenden: ihre Verwandtschaft mit ihrer eigenen Vergangenheit springt in die Augen, ihre Verwandtschaft mit ihrer Zukunft nicht. Und während das 19. Jahrhundert zu den äußern Entdeckungen von Ländern und Zeiten hinzu die innere Bereicherung der Historie brachte ... und während Paläontologie und Naturwissenschaften die Horizonte nochmals ins Ungemessene weiteten, blieben die meisten Vertreter der Kirche in ihre eigene Tradition versenkt, restaurierten sie am Ende des Jahrhunderts mit großem Nachdruck noch einmal, ohne sich um die Weitung des Blickfelds zu kümmern". 

Worauf zielt Balthasar? Dass sich die Kirche der Welt, ihren Fragen und ihren Entdeckungen stellen müsse, statt hinter Bastionen Stellung zu beziehen; dass Klarheit zu gewinnen sei, von welcher Basis aus man zur Welt hin tätig werden könne, ohne dabei weiter auf längst obsolete Deutungsmuster zu setzen oder zu hoffen, dass alle Widrigkeiten hinter dem (wenngleich zunehmend verdämmernden) Glanz früherer Herrlichkeit verschwinden.

Die weiter oben erwähnte Offenheit zur Welt, um derentwillen die Bastionen zu schleifen seien, ist bei Balthasar keineswegs jenes Aufgehen in der Welt, wie es - einem Sturm gleich - gerade einmal 10 Jahre (!) nach dem Pontifikat von Pius XII. die Kirche vandalisierte. Man kann durchaus die Frage stellen, warum der unter Pius doch so festgegründete Kirchenbau innerhalb weniger Jahre auf diversen Feldern (Theologie, Liturgie, Frömmigkeit, Disziplin etc.) im Chaos versinken konnte, zwar nicht gedeckt durch das Konzil zuvor, aber in einem revolutionären Pochen auf dessen "Geist".

Was nun geht uns dieser Text heute noch an? Ich denke, dass wohlmeinende Katholiken, welche aus guten Gründen die Lehre der Kirche nicht über Bord werfen (und ich hoffe mich dazu zählen zu dürfen), immer wieder eine Standortbestimmung vornehmen müssen: Was geht draußen ab? Wie gilt es darauf zu reagieren? Was bestimmt als eine unserer Zeit geschuldete Aufgabe, Herausforderung und Not unser Handeln und Beten? Haben wir nur fromme Textbausteine oder überzeugende Antworten? Sind wir bereit und achtsam für das, "was der Geist den Gemeinden sagt" (vgl. Offb 3,22) - Lob und Aufbau, Tadel und Kritik? Ich finde Balthasars Einreden, obschon seither ein dreiviertel Jahrhundert vergangen ist, in dieser Perspektive nach wie vor anregend. Und - da ich mich selbst in einem besonders traditionsverbundenen "Lager" verorte, scheint es mit umso wichtiger, einer zuweilen anzutreffenden Tendenz zu begegnen, welche die Kirche und den Glauben hinter der Resterampe einer gloriosen Vergangenheit zu verrammeln versucht und dabei Gefahr läuft, nach Innen und für den Einzelnen vielleicht zum Heil genügend fromm zu sein, nach Außen und im Zeugnis vor der Welt jedoch pompös ins belanglos Nostalgische abzudriften. 

Weiteres zu diesem Buch in kommenden Relectures.

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